Wie ein Mausklick Leben veränderte

Was wie aus einem Spionagefilm klingt, ist knallharte Realität: Ein Mitarbeiter des britischen Verteidigungsministeriums verschickt Anfang 2022 eine E-Mail – außerhalb des gesicherten Regierungssystems. Der Anhang? Hochsensible Daten über Afghanen, die Großbritannien im Kampf gegen die Taliban unterstützt hatten. Menschen, die nach der Machtübernahme der Taliban 2021 auf Schutz hofften – und plötzlich auf einer „Tötungsliste“ der Islamisten landen könnten. Teile der Daten tauchen später sogar auf Facebook auf.

Ein interner Super-GAU. Und einer, der Konsequenzen hatte – für tausende Menschen. Als das Verteidigungsministerium im August 2023 das Ausmaß des Lecks endlich begriff, reagierte es mit einem streng geheimen Programm: der „Afghanistan Response Route“. Was danach geschah, wurde monatelang unter Verschluss gehalten.

Ein Geheimprogramm für 460 Millionen Euro

Mehr als 4.500 Menschen wurden inzwischen aus Afghanistan nach Großbritannien gebracht – unter höchster Geheimhaltung und für bislang 460 Millionen Euro. Die Operation war Teil eines streng geheimen Plans, der aufgrund einer gerichtlichen Anordnung weder erwähnt noch kritisiert werden durfte. Kein Wort in den Medien, kein öffentlicher Aufschrei – obwohl es sich um eine der größten Evakuierungsaktionen seit Jahren handelt.

Ziel der Maßnahme: Die betroffenen Personen in Sicherheit bringen, bevor die Taliban ihrer habhaft werden konnten. Und das unter dem Radar, um die Taliban nicht noch gezielter auf mögliche Namen und Aufenthaltsorte aufmerksam zu machen. Eine undurchsichtige Gratwanderung zwischen Geheimhaltung, Verantwortung und öffentlichem Interesse.

Der Skandal hinter dem Schweigen

Während viele das humanitäre Engagement loben, gibt es auch scharfe Kritik – vor allem an der gerichtlichen Anordnung, die jede Berichterstattung über das Leck und seine Folgen unterband. Kritiker werfen der Regierung Vertuschung und mangelnde Transparenz vor. Einer der Helfer des Programms bringt es auf den Punkt: „Es war eine Tötungsliste, bereitgestellt von der britischen Regierung.“ Eine Aussage, die sitzt – und die Frage aufwirft, wie viele Leben durch diese Nachlässigkeit gefährdet wurden.

Erst jetzt, mit erheblicher Verzögerung, kommen Details ans Licht. Und mit ihnen die Erkenntnis, dass Datenpannen in Zeiten globaler Krisen nicht nur abstrakte IT-Probleme sind, sondern über Leben und Tod entscheiden können.

Panne mit Moral – oder systematische Verantwortungslosigkeit?

Natürlich: Gut, dass Großbritannien die Menschen rausgeholt hat. Keine Frage. Aber mal ehrlich – wäre das überhaupt nötig gewesen, wenn nicht jemand grob fahrlässig vertrauliche Daten verschickt hätte? Und wie kann es sein, dass ein solches Leck über ein Jahr lang unbemerkt bleibt?

Geheimhaltung kann in Krisensituationen sinnvoll sein – aber sie darf kein Freifahrtschein für Intransparenz sein. Wer tausende Menschen gefährdet, muss sich erklären. Die britische Regierung hat mit ihrer Reaktion Menschlichkeit bewiesen – mit ihrer IT-Praxis und Kommunikationsstrategie aber ein gefährliches Eigentor geschossen.

Zum Newsletter anmelden

und immer aktuell im Datenschutz informiert.